Thurtaler Bienenfreunde
Bienenzucht zu Grossmutter s Zeiten im Obertoggenburg
(Aus dem literarischen Nachlass von Josef Feurer, 1884 - 1973)
Bienenzucht wurde nicht weniger intensiv betrieben als heute, freilich unter viel primitiveren Verhältnissen. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts galt Zucker auf dem Lande noch als Rarität. Man süsste mit Honig, mit Birnen-, Beeren-, Rüebli- und Räbensaft, oft auch mit "Süsswürzen" oder Süssholz. Darum ist diese nützliche, zwergenhafte Farnart beinahe ausgerottet worden.
Bienenzucht zu Grossmutters Zeiten erlebte ich buchstäblich, weil meine rührige Grossmutter , geboren 1838, der meine Erziehung zum grössten Teil anvertraut war, selber beständig zwölf und mehr Immen in der oberen Laube stehen hatte. Ich liebte zwar damals schon den Honig mehr als die Bienen, mit denen man bei ungleicher Wellenlänge "schmerzliche Erfahrungen" machen kann.
Lieber Leser, Du lächelst? Aber es ist doch so: Ausdünstungen von bestimmten Personen bedeuten ein rotes Tuch für diese Sorte von Insekten. So wurde am Ulrichstag, dem 4. Juli von 1895/96 , der Nachbarssohn Ueli, ein sehr wackerer, sauberer Bursche, an seinem Namenstag - den man damals anstelle des Geburtstages feierte - von mehreren Bienen gleichzeitig geradezu verfolgt, als er plaudernd vor uns stand und händeringend floh. Wir anderen, Hausgenossen der Bienen, blieben völlig verschont. Gewisse meteorologische Verhältnisse ertragen die Bienen ebenso wenig.
Mit viel Liebe und Sorgfalt wurden die gefürchteten Insekten von meiner Grossmutter gepflegt und - war's als Dankeszeichen zu werten - sie wurde von ihnen sehr selten gestochen, auch wenn sie ohne Schleier in den Körben hantierte. Sie war auch beinahe immun gegen das Bienengift. Sie hatte mit der Bienenzucht auf dem Bergli im Bunt bei Wattwil um 1870 begonnen, wo der Grossvater als Verwalter der Liegenschaften des Webereifabrikanten Wäspi-Anderegg während einer Reihe von Jahren tätig war.
Damals und viel später sah man im Obertoggenburg noch vereinzelte Biicher, Bienenwohnungen aus Weiden glockenförmig geflochten, mit Lehm oder Kuhmist verstrichen. Sie standen, wie die etwas später aus Luzern stammenden, zylinderförmigen goldgelben Strohkörbe, oft auf den weit ausladenden Klebdächern der Häuser. Viel häufiger aber traf man sie, wenn nicht in einem eigentlichen Bienenhaus, im oberen Schopf auf der Südostseite des Hauses, hinter der Schirmwand, in welche die Fluglöcher geschnitten waren, an. Dort überstanden die Bienen den Winter besser, besonders wenn die Körbe mit Tarasäcken gedeckt wurden. Die Winterruhe begann in der Regel im Oktober.
Wenn im März Tageslänge und Sonnenwärme stiegen, strömten die Bienen zum Entleerungsflug hinaus, wobei sie gar oft die aufgehängte Wäsche und die Kissen auf dem Fenstergesimse mit braunen, dauerhaften Erinnerungszeichen versahen.
Das geschah nicht selten zu früh, wenn beispielsweise bei gurgelndem Schmelzwasser in den Dachtraufen der Holzhacker seine Klötze spaltete und damit die Bienen in ihrer Zeitrechnung verwirrte.
Fütterung der Bienen
In modernen Bienenkästen sind raffiniert ausgedachte Fütterungseinrichtungen vorhanden. Wie aber fütterten die Alten ihre Immen? Zu diesem Zwecke wurden den Weiden- oder Strohkörben ca. 5 cm dicke Holzleisten unterlegt, so dass ein mit Futter gefüllter, hochrandiger Teller zwischenhinein geschoben werden konnte. Die Nahrung bestand aus lauwarmer Zuckerlösung mit eingelegten Tannenzweigen, auf welchen die hungrigen Bienchen standen, ohne den Ertrinkungstod zu riskieren. Nach der Fütterung wurde der Stock wieder auf das Bodenbrett gesenkt.
Zur Zubereitung des Bienenfutters wurde nicht etwa der billige "Sackzucker" verwendet, gut genug war nur der Stockzucker, den man in kegelförmigen Gebilden zu 2 bis 10 Kilo erhalten konnte. Das innere weisse Umschlagpapier wurde als kühlendes Heilmittel bei Geschwülsten verwendet!
Uebermässige, vor allem unnötige Fütterung, wirkte natürlich qualitätsvermindernd auf den Honig und verzögerte auch dessen Kandierung. Für Blüten und Waldhonig bezahlte man verschiedene, sehr niedrige Preise: Fr. 1.20 bis Fr. 1.50 pro Pfund. Mit der kiloweisen Gewichtsbezeichnung fanden -sich die Leute noch nicht ab, so wenig wie mit der in' den Neunzigerjahren durchgeführten Angleichung an die mitteleuropäische Zeitrechnung, durch Nachschieben des Uhrzeigers um eine halbe Stunde. Wenn der Grossvater zu spät zum "Zobetessen" (Mittagessen) erschien, entschuldigte er sich noch jahrelang empört, es sei ja in Wirklichkeit eine halbe Stunde weniger spät.
Eine besondere Rolle im Haushalt der Bienen spielen zur Frühsommerszeit die Drohnen, die Männchen. Die einzige weibliche Biene ist die Königin, während die grosse Masse als Arbeitsbienen bezeichnet wird und geschlechtlos ist. In Abwandlung des geflügelten Wortes von der Spätzin und dem Spatz könnte man wohlwagen: Für die Bienen sind die Pflichten, für die Drohnen das Vergnügen. Denn sie dienen einzig und allein der Befruchtung der Königin und werden nach getaner Pflicht unbarmherzig totgestochen. Ob das einzelne Ei zur Arbeitsbiene, zur Königin oder zur Drohne sich entwickeln soll, das hängt von der Beschaffenheit der Zelle ab, wo das Ei hineingelegt wird; aber auch von der Fütterung. Aus den kleinsten Zellen kommen die Arbeiterinnen, aus den grösseren die Drohnen und aus der allergrössten Behausung die Königin, aber stets in geringer Zahl. Es bleibt nur eine am Leben.
Der Staatshaushalt, die Arbeitsgemeinschaft der Bienen, und der Fleiss dieser Insekten sind erstaunlich und werden oft dem Menschen als nachahmenswert vor Augen geführt.
Daneben soll es Wiibervölchli geben, die ihre Ehemänner den unnützen Drohmem gleichstellen und danach behandeln.
Das Schwärmen
Wenn eine junge Königin im Begriffe stand, die Herrschaft über den lmmen zu übernehmen, wurde dies mit einem aus dem Stock leicht vernehmbaren Tü-Tü-Tü angezeigt. Die bisherige Königin zog den kürzeren und flog mit ihren Anhängerinnen als grosser Schwarm ziellos in die vorsommerliche Landschaft hinaus.
Das geht heute genauso zu wie damals, Für uns war das immer ein wahres Fest. Mit Lärminstrumenten versuchten wir das Gebrause einigermassen zu lenken, damit der Schwarm nicht allzu weit fortfliege und dabei verloren gehe.
Hatte sich die Königin an einem Baumast festgesetzt und ihr Gefolge sich als dunkle Traube angehäuft, stellten wir die neue Wohnung samt Bodenbrett bereit. Die Wand des Korbes wurde mit den Blüten der Sumpfspierstaude, dem "Biilichrut", innwendig ausgestrichen, womit die Bewohner zum Bleiben bewogen werden sollten, denn der Honigduft der Pflanze sagt ihnen offenbar zu. Bei einem kräftigen Schlag auf den besetzten Ast fielen die Bienen in den bereitgestellten Korb. Bis am Abend blieb dieser im Schatten des Baumes stehen, wo die fleissigen Tierchen bereits erfolgreich mit dem Bau der Waben begonnen hatten. Die hauchdünnen Zellenwände der Waben bauen die Bienen aus winzigen Wachsplättchen, die sie zwischen den Hinterleibsringen "hervorschwitzen". Derweil durfte ich als Züchtergehilfe und "Kontrolleur des Honigs" aus einer Weide und bunten Blumen einen Kranz flechten. Dieser wurde um das Flugloch des "neuen" Immen gehängt, teils zur Zierde, teils zur Orientierung der eingezogenen Bowohner. Hochzeitskränze für Bienen, Habersuppe und Schmalzbrütt für "Kalberkühe" gehören wohl der Vergangenheit an!
Gewinnung des Honigs
Zu Beginn der jährlichen Blütezeit wurde dem dauernd bewohnten grossen Teil des Bienenkorbes ein kleinerer aufgesetzt, der sogleich mit goldgelben Waben besetzt war. Sobald diese mit Honig gefüllt waren, wurde der Aufsatz abgehoben, die vollen Waben herausgeschnitten und in einem Herdöpfelbecki in den warmen Ofen gestellt. Dort schmolzen Waben und Honig gemeinsam und tropften in eine untergestellte Schüssel. Nach erfolgter Abkühlung konnte das Wachs als schwimmende Decke leicht abgehoben werden. Die Schleudermaschine war noch unbekannt. Das Produkt aus mehrjährigen Waben, in den schon Brut grossgezogen worden war, nahm eine etwas dunklere Farbe an, wurde aber nicht weniger hoch geschätzt. Bienenhonig galt als Luxus und als Medizin und kam sehr selten auf den Tisch. Der Vorrat galt als Ausgleich für Mangeljahre.
Die einzelnen Wachsplatten aus dem Ofen wurden am Schluss der Schmelzungen zu einer grossen Platte verschmolzen und, soviel ich mich erinnere, in Drogerien zu guten Preisen abgesetzt. Die Wachsabfälle wurden zu Baumnuss grossen Kugeln geknetet und von der Hausfrau zum wachsen des Nähfadens gebraucht. Der Schuster verwendete das Wachs dort, wo der schwarze Pechdraht nicht am Platze war. Das Wachs ist als Eigenprodukt sehr selten geworden, seit die Bienenzucht nur noch die künstlich vorbereiteten Waben kennt. Es wurde durch allerhand künstllche Produkte ersetzt.